Wegen mehr Demonstrationen: Überstunden für Sachsens Polizisten, Einschnitte bei Kontrollen

Die Corona- und seit Kurzem auch die Energiepreis-Proteste haben die Überstunden bei der sächsischen Polizei in die Höhe schnellen lassen. Deshalb warnt die Gewerkschaft vor Einschnitten beim Tagesgeschäft: Verkehrskontrollen und Anzeigenbearbeitung würden auf der Strecke bleiben.

Aufgrund der zunehmenden Demonstrationen müssen Polizistinnen und Polizisten in Sachsen immer mehr Überstunden machen. Das geht aus einer Statistik hervor, die das Innenministerium auf LVZ-Anfrage erstellt hat. Demnach liegt die bis zum 30. September registrierte Mehrarbeit bereits deutlich über den Vorjahreswerten. Auch die Stundenzahlen aus Vor-Corona-Zeiten waren erheblich niedriger als heute. Betroffen sind insbesondere die Bereitschaftspolizisten, aber auch die Beamtinnen und Beamten aller fünf Polizeidirektionen.

Innenministerium: Stundenanstieg resultiert vor allem aus Protesten

„Der Anstieg geht wohl vor allem auf das pandemiebedingte Versammlungsgeschehen zurück, das die sächsische Polizei in einem besonderem Maß gefordert hat“, erklärt das Innenministerium. Seit etwa zwei Monaten werden die Corona-Proteste durch Demonstrationen gegen hohe Energiepreise abgelöst. Allein in der vergangenen Woche gab es sachsenweit 109 Ansammlungen mit rund 25.000 Teilnehmenden. Die Aktionen werden häufig von den rechtsextremen „Freien Sachsen“ organisiert.

Sachsen kann kaum noch Unterstützung aus anderen Bundesländern anfordern

Verschärfend komme hinzu, so das Innenministerium: Da die Einsatzbelastung in allen Bundesländern gestiegen sei, könne Sachsen „nicht beziehungsweise nur noch bedingt“ auf auswärtige Unterstützung zurückgreifen. „Also mussten die Maßnahmen mit sächsischen Einsatzkräften sichergestellt werden“, macht eine Sprecherin von Ressortchef Armin Schuster (CDU) klar. Das habe zur Folge gehabt, dass „sowohl die Bereitschaftspolizei als auch Kräfte der Polizeidirektionen verstärkt zur Absicherung herangezogen wurden“.

In vielen Polizei-Bereichen zeichnet sich Verdoppelung der Überstunden ab

Konkret stehen zum Beispiel in der Bereitschaftspolizei schon jetzt knapp 40.000 Überstunden für die ersten neun Monate zu Buche. Setzt sich diese Entwicklung fort, könnte es bis zum Jahresende nahezu eine Verdoppelung der Stundenzahl im Vergleich zu 2021 geben. Auch in den Polizeidirektionen Chemnitz, Dresden, Zwickau und Görlitz zeichnet sich in etwa eine Verdoppelung ab. Für die Polizeidirektion Leipzig wurden bis Ende September insgesamt 30.000 Überstunden geschrieben – zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr sammelten sich 26.000 an, zuvor waren es 28.000 (2020), 25.000 (2019) und 20.000 (2018).

Polizei-Gewerkschaft warnt vor Einschnitten im Tagesgeschäft

Deshalb schlägt die Deutsche Polizei-Gewerkschaft (DPolG) Alarm. „So kann es mit der täglichen Belastung im Dienst und durch das zusätzliche Einsatzgeschehen nicht weitergehen. Unsere Polizisten sind kurz vor dem Kollaps“, sagt die Landesvorsitzende Cathleen Martin. Verkehrs- und Geschwindigkeitskontrollen seien genauso wie die Überwachung von Schulwegen oder die Drogenfahndung schon lange ins Abseits geraten, warnt Martin – „denn dafür hat niemand mehr Zeit“.

Die Konsequenzen seien „nicht auszudenken“, sollten sich die Einsätze etwa bei Demonstrationen oder auch Fußballspielen weiterhin derart entwickeln. Gleichzeitig würde die Aggression gegen Beamtinnen und Beamte bei herkömmlichen Polizeieinsätzen stark zunehmen. „Die einzige Lösung ist, die Einstellungszahlen drastisch zu erhöhen und sich nicht immer hinter dem Finanzhaushalt zu verstecken“, fordert die DPolG-Landeschefin.

Polizei-Inspekteur: Hohe Einsatzbelastung in den letzten Wochen

Petric Kleine, der Inspekteur der Polizei Sachsen, erklärt gegenüber der LVZ: „Die sächsische Polizei unterliegt insbesondere in den letzten Wochen einer hohen Einsatzbelastung.“ Ziel sei, die Überstunden „mindestens mittelfristig“ auszugleichen oder abzubauen. Auch das Innenministerium räumt ein, dass eine „einseitige, partiell höhere Belastung auf eine bestimmte Aufgabe“ erfolgen müsse – da die Gefahrenabwehr stets Vorrang habe. Nichtsdestotrotz sei die Arbeitsfähigkeit der Polizeireviere „durch die Einhaltung der Mindesteinsatzstärken gewährleistet“.